Von 1996 bis 2000 fotografierte Rolf Nobel die fünf Geschichten des Projektes »Local Heroes«. Die Bilder der einzelnen Themen »Travellers«, »Seatangle Collectors«, »Seacoalers«, »Ponykids« und »Small Mines« entstanden in Wales, Schottland, England und Irland.
Obwohl sie erst kurz vor der Jahrtausendwende fotografiert wurden, noch dazu in einer der mächtigsten Industrienationen Europas, muten die Fotos von »Local Heroes« an wie Geschichten aus längst vergangenen Zeiten.
Travellers
Das Leben in engen Familienverbänden, das Herumziehen in Wohnwagen, Strenggläubigkeit, Kinderreichtum und ihre Sprache Shelta, das hat den Travellers den Ruf eingebracht, Zigeuner zu sein.Tatsächlich sind sie vor langer Zeit durch sozioökonomische Prozesse an den Rand der Gesellschaft geraten, woraus sich ihr Nomadentum als Wanderhandwerker entwickelt hat.
Früher zogen sie als Kesselflicker in Pferdewagen herum, heute in Caravans. Noch bis in die 60er Jahre hinein betrug die durchschnittliche Lebenserwartung der Travellers 50 Jahre. Schuld sind die schlechten Wohnbedingungen in den zugigen, kalten und feuchten Caravans. 75 Prozent der englischen Bevölkerung wollen keine Travellers in ihrer Nachbarschaft. Obwohl Traveller auch ein Synonym für Gauner ist, haben die Travellers keine signifikant höhere Kriminalitätsrate. Wie viele Briten lieben die Travellers Pferde. Als Treffpunkt dienen die zahlreichen Pferdemärkte. Der größte findet seit rund 270 Jahren auf dem Pferdemarkt von Appleby im britischen Cumbria statt.
Ponykids
Ende des 20. Jahrhunderts gibt es in der irischen Hauptstadt Dublin etwa 4.000 Pferde. Die Hälfte davon gehören Kindern und Jugendlichen aus den ärmlichen Wohngettos wie Ballyfermot, Ballymun oder Finglas. Die meisten von ihnen sind sogenannte Tinker Horses, kleine, robuste Pferde mit gutmütigem Charakter, die zumeist als Arbeitspferde eingesetzt wurden.
Für die Jugendlichen sind die Pferde Kuscheltiere und Prestigeobjekt, Blitzableiter und Spielkamerad. Nach der Schule holen sie ihre Pferde von den städtischen Grünflächen, auf denen sie angepflockt sind und galoppieren durchs Viertel – Urban Cowboys.
In den Gettos von Dublin, wo nicht selten 80 Prozent der Erwachsenen von der Sozialhilfe leben, gibt es für die Jugendlichen keine Perspektive. So sind die Pferde der einzige Lebensinhalt für die chancenlosen Jugendlichen. Und die Pferde sind es auch, die bei vielen ein Abrutschen in die Junky- oder Alkoholikerszene verhindern.
Small Mines
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeiteten in den Kohleminen von Wales etwa 250.000 Bergleute. Betrieben wurden die Minen von dem staatlichen Kohleunternehmen British Coal. Als die damalige Premierministerin Margaret Thatcher beschloss, die Kohlegesellschaft zu privatisieren, wehrte sich die Minenarbeitergewerkschaft National Union of Mineworkers 1984 mit einem einjährigen Streik. Am Ende war die Gewerkschaft geschlagen. Als Resultat mussten viele der Waliser Minen schließen.
Um einem Leben von Sozialhilfe zu entfliehen, kauften sich Bergarbeiter wie Tim Gronow und Arwyn Wiliams in den neunziger Jahren aus der Konkursmasse von British Coal kleine Minen. Das Geld dafür stammt aus Abfindungen und Erspartem. Unter Verzicht auf Sicherheitsstandarts und mithilfe von Picke, Schaufel und Grubenpferden holen sie die Kohle wie zur Blütezeit des Frühkapitalismus aus den Stollen. Ein paar Monate nach meinem Besuch müssen Tim und Arwyn ihre Mine wegen Unrentabilität schließen.
Seatangle Collectors
Im Jahre 1998 gibt es auf der schottischen Insel Westray, ganz am nordwestlichen Rand des Orkney-Archipels mit seinen 67 Inseln, nur noch drei Seetangsammler, wo es einstmals Hunderte von ihnen gab. Es ist für alle ein Nebenjob, hart verdientes Zubrot neben der Fischerei oder der Viehzucht. 200 Stiele getrockneten Palmentangs bringen etwa 9 Euro. An einem guten Tag schaffen die Seetangsammler 70 Euro. Doch mit dem Sammeln allein ist es nicht getan, denn der Palmentang wird zuerst entblättert und dann oberhalb des Spülsaumes auf Mauern oder Gestellen über Monate hinweg immer wieder zum Trocknen gewendet. Sonst fault er und ist wertlos. Starker Wellengang entwurzelt den Palmentang und spült ihn an die Ufer der Orkney-Inseln.
Ohne ihn würden Eiscremes, Salatsaucen und Konditorei-Produkte unansehnlicher Matsch. Das verdanken wir einer bemerkenswerten Eigenschaft der Algen. Die daraus gewonnenen Alginate verändern das Verhalten von Wasser, werden eingesetzt als Verdickungsmittel, als Stabilisatoren und dank ihnen schützt auch Sonnencreme länger die Haut, denn die Alginate zögern das Auflösen durch Wasser hinaus.
Seacoalers
Über mehrere Jahrzehnte hinweg verklappten die Gruben des englischen Bergbaugebietes von Ashington in Northumberland ihren Abraum im Meer. Als Abraum bezeichnet man die steinhaltige, minderwertige Kohle, die auf dem Weg zu den Kohleflözen aus dem Berg geholt werden muss. Die Gezeiten durchspülen den Abraum und trennen die Kohle vom Gestein. Von einer rauhen See wird die leichtere Kohle dann an den Strand gespült.
Farmer, Fischer und Arbeitslose wie Joseph Smith rücken mit Pferdewagen oder Traktoren an und schaufeln die Kohle auf ihre Wagen. Mann nennt sie Seacoaler. Sie beheizen damit ihre Häuser, den Überschuss verkaufen sie.